Dieser Film ist so leise und zart, dass man wohl brüllen müsste, wie großartig er ist, damit er nicht untergeht im Getöse der Zeit. Es geht um nichts Weltbewegendes - ein Mann passt auf seinen Neffen auf, und das erweist sich als wesentlich komplizierter und anstrengender, als er es sich vorgestellt hat. Aber Mike Mills zeichnet in "Come on, Come on" einen Balanceakt nach zwischen der Fürsorge für andere und der für sich selbst, und vielleicht ist das eben dochweltbewegend.
Für Joaquin Phoenix ist "Come on, Come on" die erste Filmrolle, seit er für den "Joker" einen Oscar als bester Hauptdarsteller bekommen hat. Er sucht die Herausforderung im Gegenentwurf, in einer Figur, die ganz ruhig und bei sich ist, ein richtig lieber Kerl, der seinen Mitmenschen mit Offenheit und Wohlwollen begegnet. Johnny lebt in New York und arbeitet beim Radio, er macht lange Sendungen, beispielsweise darüber, wie Kinder sich ihre Zukunft vorstellen, und dafür reist er quer durch die USA. Er selbst hat keine Kinder, auf die arglose Art, auf die nur Männer kinderlos sind, weil sie noch nie eine biologische Uhr haben tickenhören.
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Er ist mit seinem Team gerade in Detroit, als seine Schwester anruft - die beiden haben sich lange nicht gesehen, seit dem Tod der Mutter, und nun bittet sie ihn um Hilfe. Viv (Gaby Hoffmann) hat sich von ihrem Mann getrennt, der erhebliche psychische Probleme hat, und nun muss sie zu ihm fahren, und da will sie auf keinen Fall ihren Sohn mitnehmen. Also fliegt Johnny nach Los Angeles, um ein paar Tage auf ihn aufzupassen. Jesse ist neun Jahre alt, er muss zur Schule. Die Situation ist für ihn schwer genug, ohne dass er zusieht, wie sein Vaterausrastet.
"Come on, Come on" ist in Schwarz-Weiß gedreht. Hat man Los Angeles die Knallfarben erst einmal ausgetrieben, scheint es nicht mehr um Hollywood herumgebaut, sondern ist einfach ein Ort, an dem ganz normale Menschen versuchen, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Mills findet für diese Geschichte von Anfang an einen sehr natürlichen, glaubwürdigen Tonfall. Ein seltsames Wiedersehen mit der Schwester, irgendwo zwischen entfremdet und vertraut, ein sanftes Herantasten an Jesse, den Jungen - wie bekommt man das hin, ganz ungeübt, sich als künftige Bezugspersonvorzustellen?
Der neunjährige Jesse verwickelt die Erwachsenen in traurige Spiele
So entstehen eigenartige, komische Momente. Eine wunderbare Szene: "Wie soll ich dich nennen?", will Jesse wissen, und Johnny antwortet: "Wie immer es dir recht ist." Der kleine Grübler sackt in seinem Sessel zusammen und sagt: "Mir sowas aussuchen zu können, bin ich nicht gewöhnt." Jesse hat eine ganz eigene Art, mit den Gefühlen umzugehen, die die psychischen Probleme seines Vaters und dessen Verschwinden bei ihm ausgelösthaben.
Er verwickelt die Erwachsenen in traurige Spiele. Also sagt er zu Jesse: "Tut mir sehr leid, dass Deine Kinder tot sind." Und als der ein bisschen entgeistert reagiert, schiebt er hinterher: "Du bist wirklich nicht gut in sowas." Das Zuhören hat Johnny eigentlich gelernt, es ist sein Beruf - aber wenn er mit den Kindern für seine Sendung spricht, findet er nur heraus, wo ihre Probleme liegen. Er muss sie nichtlösen.
Woody Norman ist als Jesse ein würdiger Gegenspieler für Joaquin Phoenix - ein bisschen unberechenbar, schwierig und altklug und doch ein Kind. Mike Mills sagt, die Beziehung zu seinem eigenen Sohn hätte ihn zu dieser Geschichte inspiriert - ein sehr persönlicher Ausgangspunkt, wie bei seinen vorangegangenen Filmen, "Beginners" und "Frauen des Jahrhunderts", in denen er jeweils die Beziehung zu seinen Eltern eingearbeitethat.
Mills macht Filme, als wolle er beweisen, wie bewegend es sein kann, wenn der größte Knall im Film ein Ortswechsel ist. Ein ganz kleines Drama - Johnny wird bei der Arbeit gebraucht, und nun nimmt er Jesse mit in sein Leben, was Viv nicht gefällt und ihm zeigt, wie anders es ist, wenn da noch ein Mensch ist, auf dessen Bedürfnisse er dauernd Rücksicht nehmen muss. Viv bleibt eine Nebenfigur, ihre Reise dauert länger als geplant, sie textet und telefoniert sich in die Geschichte. Johnny entdeckt seinen Brutpflegeinstinkt, wehrt sich ein wenig dagegen, holt sich dauernd bei seiner Schwester Rat und wächst schließlich mit seinen Aufgaben, bis niemand mehr sagen kann, er sei nicht gut darin. Nicht malJesse.
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Mills hat das Drehbuch selbst geschrieben, und manchmal gehen seine Versuche, den menschlichen Beziehungen auf den Grund zu gehen, bis hart an die Grenze zur Prätention - ein Buch beispielsweise, das in den Film findet, ist "Mothers: An Essay on Love and Cruelty" von der britischen Psychoanalytikerin und Feministin Jacqueline Rose. Es handelt von den Ansprüchen, die an Mütter gestellt werden, von der Unmöglichkeit, ihnen zu genügen, und von den Rissen, die sich durch eine Gesellschaft ziehen, in der sich alle nicht ausreichend bemuttertfühlen.
"Die Mutterschaft ist der Ort in unserer Kultur, wo wir die Realität unserer Gefühle aufbewahren oder besser: verstecken", zitiert Mills daraus - die Idee der Mutterschaft als Ort, wo all unsere Konflikte zusammenlaufen und dann vertuscht werden. Eigentlich ist es aber viel schöner, wenn er solche Gedanken in den Szenen nur durchschimmern lässt: in Johnnys argloser Kinderlosigkeit, all den Fragen, die er seiner Schwester stellt, der Verwirrung, wenn er keinen Rat mehr weiß, der stillen Zufriedenheit, wenn etwas funktioniert. Es liegt ein Trost in der Geschichte, die Mills erzählt: Menschen sind beweglich, ihre Wunden können heilen, solange sie nicht zu tief sind. Und so enthält jeder Fehler, den Johnny macht, auch die Chance, dass alles wieder besser wird. So gut es ebengeht.
C'mon C'mon , USA 2021 - Regie und Buch: Mike Mills. Kamera: Robbie Ryan. Mit: Joaquin Phoenix, Woody Norman, Gaby Hoffmann, Scoot McNairy, Molly Webster. Verleih: DCM, 108 Minuten. Kinostart: 24. 03. 2022.